1. Satz: Poco allegro

2. Satz: Andante grazioso

3. Satz: Finale. Allegro

>>> Quellen

AUFFÜHRUNGSDAUER: ca. 31 Min.

VERLAG:
G. Schirmer (Music Sales Classical)
Universal Edition (Taschenpartitur)

Arnold Schönberg schien sich lange Zeit kaum für die Konzertform interessiert zu haben: abgesehen von einem frühen Notturno für Violine, Harfe und Streichorchester machte er sich zunächst mit Liedern, Kammermusik und symphonischen Werken einen Namen, bis er mit dem Überschreiten der Grenzen des Dur/Moll-tonalen Systems für jede neue Komposition einen originären Gestaltungsansatz verfolgte. Die Anforderungen eines Virtuosenkonzerts schienen damit kaum vereinbar. Erst mit der Entwicklung der »Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen« begann Schönberg sich nachhaltig mit der Gattung zu beschäftigen: Erste Entwürfe datieren auf den 18. Februar 1922, ein weiterer Ansatz folgte im November 1927 – möglicherweise als Reaktion auf Alban Bergs im selben Jahr uraufgeführtes Kammerkonzert für Klavier und Geige mit 13 Bläsern. Zur Vollendung gelangte jedoch erst das nach der Emigration in die USA begonnene Concerto for Violin and Orchestra op. 36, das von Beginn an als gewichtiger Beitrag zur Gattungsgeschichte lanciert wurde. Für die Uraufführung war kein geringerer als Jascha Heifetz vorgesehen, dem Schönberg bereits 1935 einige Seiten zur Probe schickte. Brieflich erkundigte er sich nach den Eindrücken des großen Virtuosen und kündigte den bevorstehenden Abschluss weiterer Teile des Konzerts an: »vielleicht nicht so schwer wie der erste Satz, und vielleicht auch etwas gefälliger – natürlich stets innerhalb meines Stils.« Heifetz lehnte die Uraufführung schließlich ab. Auf Anraten seines Schwagers Rudolf Kolisch wandte Schönberg sich nach Abschluss der Komposition an den Geiger Louis Krasner, der 1936 bereits Alban Bergs Violinkonzert aus der Taufe gehoben hatte. Dieser war beeindruckt von der großen Geste, mit der sich das Werk in die Tradition der konzertanten Literatur einfügte und fühlte sich von Schönbergs idiomatischer Schreibweise für die Geige ebenso angesprochen, wie von den zahlreichen technischen Schwierigkeiten (Flageoletts, komplexe Doppelgriffe, etc.) herausgefordert. Schönberg, der sämtliche neue Griffe selbst am Instrument probiert hatte, zeigte sich beglückt, als Krasner die als unspielbar geltende Partitur bewältigte. Zusammen mit dem Philadelphia Symphony Orchestra unter Leopold Stokowski spielte er am 6. Dezember 1940 die Uraufführung. Die Reaktion des Publikums kann bestenfalls als gemischt bezeichnet werden: Einige Zuhörer:innen verließen das Konzert, nach dem ersten Satz gab es Applaus und Pfiffe, was der Dirigent mit einem energischen Appell an die Konzertbesucher:innen quittierte. Die Kritik erging sich in Klischees über zeitgenössische Musik. Entschiedene Fürsprecher fand das Werk neben Stokowski und Krasner allerdings bei den Orchestermusikern – ein Geiger äußerste sich in einem Zeitungsbericht enthusiastisch: »Das ganze Werk ist außerordentlich konsequent gearbeitet; es gibt keine abgedroschene oder banale Phrase, keinen Stilmischungen. Das Werk ist von solcher Einheit, dass es sich nach mehrfachem Hören sicher als ganz natürlich und einfach herausstellen wird.«

Wenn Schönbergs Violinkonzert auch nicht an die Popularität vergleichbarer Werke von Brahms und Beethoven heranreicht, hat es sich gleichwohl im Repertoire vieler großer Geiger:innen etabliert. Die formale Anlage ist an den Klassikern der Gattung orientiert; die zwölftönige, auf einer einzigen Reihe basierende Struktur verleiht dem Werk eine klangliche Signatur, die als wiederkehrender Intervallgehalt der einzelnen Motive wahrzunehmen ist. Sie bot Schönberg die Möglichkeit, traditionelle Formen mit neuem Inhalt zu füllen und darüber hinaus selbst virtuoses Passagenwerk tief in der kompositorischen Struktur zu verankern.

Der Eröffnungssatz entwickelt sich im Dialog zwischen Solo-Violine und Celli aus einem Sekundmotiv heraus. Allmählich treten die übrigen Instrumente hinzu, die Violine erweitert ihren Ambitus, bis es nach einer Passage mit Terz-Doppelgriffen zum ersten fortissimo-Ausbruch im vollen Ensemble kommt. Der bald folgende Seitensatz hebt sich durch luftige Figuren der Violine ab, die in ein reges Wechselspiel mit dem Orchester tritt. Die insgesamt dreiteilige Anlage des Satzes entspricht der klassischen Sonatenhauptsatzform, wobei der Mittelteil Walzer-Charakter trägt. Der Beginn der Reprise ist an der Wiederaufnahme des charakteristischen Sekundmotivs erkennbar, allerdings nicht in der Solo-Violine, sondern deutlich markiert in den Posaunen. Auch die übrigen Elemente der Exposition – Doppelgriffe in Terzen, luftiger Seitensatz – kehren in ihrer ursprünglichen Reihenfolge wieder, bis der Satz nach einer Kadenz der Solovioline und einer kurzen Stretta mit einem letzten Erklingen des Anfangsmotivs beschlossen wird.

Schönberg hat sich nie zu außermusikalischen Hintergründen seines Violinkonzerts geäußert. Der Entstehungskontext, die starke Verankerung in der klassischen Tradition, wie auch die Nähe zum Klavierkonzert, für das ein programmatischer Entwurf in den Skizzen überliefert ist, haben immer wieder zu Überlegungen hinsichtlich eines Zusammenhangs des Werkes mit der Exilsituation geführt. Wenn diese Deutung zutrifft, dann steht der Mittelsatz vielleicht für wehmütige Erinnerung: eine gesangliche Melodie der Violine eröffnet das Andante grazioso zu einer aufgelockerten Orchesterbegleitung. In einer aufs Ganze betrachtet dreiteiligen Anlage wechseln melancholisch-nachdenkliche Abschnitte des Solisten mit im Wesentlichen orchestralen Passagen ab. Neben der Kantilene, deren häufige Wiederkehr an eine Rondoform denken lässt, klingen immer wieder auch die charakteristischen Sekundmotive vom Beginn des Konzerts an.

Das Finale eröffnet im klar markierten Marschrhythmus und evoziert in weiten Teilen eine kämpferische Atmosphäre – etwa wenn die Violine in ein erregtes Zusammenspiel mit dem Schlagwerk tritt. Der Solist hat hier Außerordentliches zu leisten: In einer 70 Takte langen, begleiteten Cadenza scheint sich das motivische Material des Werkes ganz auf die Violine zu fokussieren. Der entschlossene Impetus des Finalsatzes lässt erneut an eine programmatische Verbindung mit Schönbergs Lebenssituation denken – zumal die Widmung des Werkes »Meinem lieben Freund und Kampfgenossen Dr. Anton Webern« diese Interpretation unterstreicht. Die letzten Takte bringen Solisten und Orchester in einer großen Schlussgeste zusammen.

Eike Feß | © Arnold Schönberg Center