1. Unentrinnbar (Arnold Schönberg) >>> Text | Quellen


2. Du sollst nicht, du mußt (Arnold Schönberg) >>> Text | Quellen


3. Mond und Menschen (von Tschan-Jo-Su aus: »Die chinesische Flöte«) >>> Text | Quellen


4. Der Wunsch des Liebhabers (von Tschan-Jo-Su aus: »Die chinesische Flöte«) >>> Text | Quellen


AUFFÜHRUNGSDAUER: ca. 8 Min.

VERLAG:
Universal Edition
Belmont Music Publishers (USA, Kanada, Mexico)

Eine Blüte bürgerlichen chorischen Singens wurde zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts durch den Goethe-Freund Carl Friedrich Zelter hervorgerufen. Die neugegründeten Singvereinigungen zeigten jedoch bereits in der Frühzeit Tendenzen zur Spaltung: die »Berliner Singakademie« verschrieb sich der Pflege der ›alten Musik‹ (Johann Sebastian Bach), während die 1809 gegründete »Berliner Liedertafel« sich aufs Zeitgenössische konzentrierte. Die unterschiedlichen Aufgabenbereiche trennten sich noch mehr auf, als eine mächtige restaurative Bewegung gleichermaßen die katholische wie die evangelische Kirchenmusik erfasste: der Cäcilianismus. Nur noch die im Tridentinum approbierte Kirchenmusik wurde gepflegt, Zeitgenössisches hatte sich nach historischen Vorbildern zu richten. Daher erfolgte ziemlich rasch die Aufspaltung in unterschiedliche Bereiche. Einerseits entwickelten sich die Liedertafeln mit unüberhörbar chauvinistischem Unterton. Andererseits kapselten sich die Kirchenchöre unter dem Einfluss des Cäcilianismus von der Musik ihrer Zeit weitgehend ab. Nur die Oratorienchöre widmeten sich trotz der Fixierung auf Bach und Händel auch den Zeitgenossen und begründeten so eine Tradition, an die Berlioz, Liszt, Brahms und auch der Schönberg der »Gurre-Lieder« anknüpfen konnten. Allerdings verlangt bereits Schönbergs Chor »Friede auf Erden« (1907) einen modernen, beweglichen Kammerchor, wie er erst in den 1950er Jahren entstehen sollte, was dem Werk zunächst den Ruf der Unaufführbarkeit einbrachte.
18 Jahre später griff Schönberg die Gattung a cappella Chor mit den Vier Stücken für gemischten Chor op. 27 erneut auf. Trotz der dodekaphonen Faktur erinnert besonders die Nr. 1 an die aus dem neunzehnten Jahrhundert überkommene Satzweise für Chormusik. Die von den atonalen Konstellationen herrührenden Intonationsschwierigkeiten werden durch eine pointiert leichte Rhythmik kompensiert. Auch das Notenbild unterscheidet sich (abgesehen von den vielen Vorzeichen) oberflächlich kaum vom Standardrepertoire der Singbewegung. Die Vierstimmigkeit sucht ähnlich wie traditionelle Chormusik eine leicht fassliche Balance von Konstruktion und Klang. Auch die Melodik unterwirft sich Prinzipien der Einfachheit: Zwei Reihenformen werden kanonisch verschränkt: die Grundgestalt und die eine Quinte tiefer transponierte Umkehrung derselben.
Die Nr. 2 »Du sollst nicht« ist gedanklich eng verwandt mit der »Jakobsleiter« und »Moses und Aron«. Die Schönberg-Biographen sind sich einig, dass dieses Stück eine wesentliche Station bei der allmählichen Rückkehr zum jüdischen Glauben darstellt. Was sich in der »Jakobsleiter« noch als eklektisches Vermengen von Gedanken Balzacs, Strindbergs und der Anthroposophie darstellt, erscheint in diesem Chor die Rekapitulation des jüdischen Bilderverbots als theologische Gewissheit.
Für den dritten und vierten Chor wählte Schönberg eine in der Wiener Schule beliebte literarische Quelle, die Anthologie »Die chinesische Flöte« von Hans Bethge. In Nr. 3 »Mond und Menschen« wird der Stetigkeit der Mondbahn das Unstete des menschlichen Lebens entgegengehalten. Die Nr. 4 »Der Wunsch des Liebhabers« erhält ein Ensemble von vier Spielern als Begleitung: Mandoline, Klarinette, Geige und Violoncello. Der Chor und die Instrumente sind eng miteinander verwoben: Jeweils ein Instrument trägt die Melodie in Grundgestalt oder Umkehrung vor, die übrigen fungieren als Begleitensemble. Die Mandoline repräsentiert den Liebhaber, ihr schwelgerischer Duktus weckt Erinnerungen an den Brauch des nächtlichen Ständchens.

Agnes Grond
© Arnold Schönberg Center