1. Sommermüd (Jakob Haringer) >>> Liedtext | Quellen

2. Tot (Jakob Haringer) >>> Liedtext | Quellen

3. Mädchenlied (Jakob Haringer) >>> Liedtext | Quellen

AUFFÜHRUNGSDAUER: ca. 6 Min.

FASSUNGEN: Fassung für Kammerorchester (René Leibowitz, 1949)

VERLAG:
Schott
Hal Leonard (USA, Canada, Mexico)

Am 30. Oktober 1948 erhielt Schönberg einen Brief von Kurt List, Leiter von Bomart Music Publications, um Vereinbarungen für den Vertrieb jüngst komponierter Werke zu treffen. Der in Wien geborene Musikwissenschaftler und Dirigent war seit langem mit Schönberg bekannt und hatte sich im Rahmen seiner Tätigkeit bei verschiedenen Verlagshäusern für dessen Werk engagiert. Als erste große Veröffentlichung plante Bomart »A Survivor from Warsaw« op. 46, das String Trio op. 45 und »Kol Nidre« op. 39 sollten folgen. Überdies äußerte List einen besonderen Wunsch: »Durch puren Zufall bin ich gerade auf Fotokopien von drei Liedern gestoßen, die Sie 1933 geschrieben haben. Sie basieren auf Texten von Jakob Haringer mit den Titeln ›Sommermued‹, ›Tot‹ und ›Mädchenlied‹. Sie sind so außergewöhnlich schön und scheinen mir relativ leicht zugänglich, so dass ich glaube, dass sie sich sofort verkaufen ließen und Erfolg versprechen. Könnten wir sie möglicherweise in den Vertrag übernehmen?«

Die Lieder entstanden zwischen Januar und Februar 1933, in einer Zeit, als die Nationalsozialistische Partei durch rasch aufeinanderfolgende Maßnahmen die parlamentarische Demokratie in Deutschland erodieren ließ. Das Vorwort der 1952 posthum bei Bomart erschienen Erstausgabe mutmaßt, der Komponist habe das Werk aufgrund seiner lebensbedrohlichen Situation im Zuge der Emigration in die Vereinigten Staaten vergessen. Das ist wenig plausibel, da Schönberg bereits 1945 durch seinen Assistenten Leonard Stein eine Transparentreinschrift des Autographs anfertigen ließ. Zwölftönige Lieder auf deutschsprachige Texte waren jedoch kaum geeignet, um Kontakte mit amerikanischen Verlagen zu knüpfen, weshalb der Zyklus zurückgestellt wurde. Die Entstehungsgeschichte des Werkes liegt weitgehend im Dunkeln.

Im Dezember 1932 soll der notorisch in Geldnöten befindliche Lyriker Jakob Haringer Schönberg um Unterstützung gebeten haben, die ihm der damals gut situierte Komponist durch Erwerb seiner Bücher und wahrscheinlich auch Geldzuwendungen gewährte. Schönbergs Bibliothek enthält einen im Wiener Zsolnay-Verlag erschienenen Band mit handgeschriebener Adresskarte Haringers, der mit mehreren Lesezeichen versehen ist. Entgegen seiner üblichen Praxis erfand Schönberg für jedes Lied eine eigene Zwölftonreihe. Sollte er die Stücke tatsächlich primär als Hilfeleistung für den verarmten Lyriker geschrieben haben, könnte sein Entschluss arbeitsökonomische Gründe gehabt haben. Ohne umfassende Kalkulation und Materialdisposition schrieb er große Teile des Notentextes direkt in Partitur. Die Beschränkung auf wenige Reihenableitungen begünstigte die Einheitlichkeit der einzelnen Lieder, während der Einsatz unterschiedlicher Originalgestalten zu Abwechslungsreichtum und eigenständigem Charakter beitrug. Das sanft-lebendige Eröffnungsstück »Sommermüd« ist eine Betrachtung über die Wechselfälle des Lebens und verspricht in Bedrängnis Aussicht auf bessere Zeiten. Einen deutlichen Gegensatz dazu bildet das lediglich 18 Takte lange Spruchgedicht »Tot«. Schönberg beschränkt sich kompositorisch auf Originalgestalt und Krebs der zugrundeliegenden Zwölftonreihe, die er in drei Viertongruppen unterteilt und diese fast durchgehend den jeweils vier Silben der acht kurzen Verse zuordnet. Die Lakonie des Textes erhält damit ein musikalisches Gegenstück. Theodor W. Adorno hob in seiner Besprechung das abschließende »Mädchenlied« hervor, das er »bei kunstvollster Rhythmik und reich gewobenem Klaviersatz chansonähnlich« empfand, »vielleicht in Erinnerung an die noch nicht gedruckten Stücke, die Schönberg in seiner Jugend für Wolzogens Buntes Theater schrieb.«

Eike Feß | © Arnold Schönberg Center