Zu den frühesten Zeugnissen der kommerziellen Schönberg-Diskographie gehören die in den 1950er Jahren veröffentlichten LPs von DIAL Records, welche die Aufführungsgeschichte von Werken der Wiener Schule zu jener Zeit dokumentieren.

Ross Russell war ein amerikanischer Autor von Detektivgeschichten und begeisterter Jazz-Fan. 1946 gründete er das Label DIAL Records, mit dem er Aufnahmen mit Proponenten der Bebop-Ära realisierte, darunter Charlie Parker, Miles Davis und Max Roach. 1949 erhielt Russell das Masterband einer Aufnahme von Arnold Schönbergs Kammersymphonie Nr. 1 op. 9 mit Musikern des Orchestre des Concerts Pasdeloup und dem Dirigenten Pierre Dervaux. Die Zusendung erfolgte im Austausch für eine Reihe von Jazz-Bändern, die Russell für den europäischen Vertrieb nach Frankreich geschickt hatte. Am 15. August bat er Schönberg um einen Einführungstext über das Werk: »Einer Ihrer Studenten [...] hat mein Interesse an Schönberg und atonaler Musik vor über zwei Jahren geweckt, und seitdem hoffe ich, dass ich sie aufnehmen kann.« (15. August 1949) Mit der Einspielung aus Paris plante Russell, einen neuen Label-Schwerpunkt mit zeitgenössischer klassischer Musik zu etablieren. Schönberg reagierte mit vorsichtigem Interesse: »Herr Steuermann, mein Freund, hatte mir schon von Ihren Plänen geschrieben, aber dass die Kammersymphonie von Herrn Dervaux in Frankreich aufgenommen wurde, ist mir neu. [...] Ich bin sehr froh, dass Sie diese Aufnahmen herausgeben wollen, aber ich denke, wenn ich diese Aufnahmen wenigstens nicht selbst zuerst hören kann, damit ich weiß, ob sie überhaupt gut sind, dann soll wenigstens Herr Steuermann sie hören und sagen, ob sie nicht große Fehler oder sonst etwas enthalten. Ich hoffe, dass sie gut sind, denn ein Mann, der so etwas unternimmt, ist in der Regel ein guter Musiker, aber man weiß ja nie.« Am 7. Januar 1950 berichtete Russell über den Verkaufserfolg der Schallplatte, die am 23. Dezember mit Schönbergs Einführung auf dem Cover zunächst exklusiv bei einem New Yorker Händler angeboten wurde, der in drei Tagen 50 Stück verkaufte. Zugleich gestand er dem Komponisten, dass die »Aufnahme wirklich nicht sehr gut ist. […] Man hat sie für uns gemacht, weil wir ein Werk von Schönberg wollten, aber wir hatten keine Kontrolle über die Künstler oder die Interpretation. Es war eine take it or leave it-Verbeinbarung, und da sie uns Geld schuldeten, das wir ohnehin nicht erhielten, griffen wir zu. [...] Auch die Tonqualität entspricht nicht unseren Standards.« Der Höreindruck bestätigt diese Einschätzung: das Gleichgewicht zwischen den Stimmen wirkt unausgewogen, manche Tempi scheinen eher den Möglichkeiten des Ensembles als einem klaren Konzept geschuldet. Hinzu kommt der schlechte Zustand des über 70 Jahre alten Tonträgers. Als historisches Tondokument (→ https://bit.ly/DIAL-DLP2) vermittelt die LP einen Eindruck von den nicht immer idealen Bedingungen der damaligen europäischen Schönberg-Aufführungspraxis. Vor allem aber bildete sie als erste kommerzielle Einspielung des Werkes den Auftakt zu einer Serie bedeutender Einspielungen durch Interpret:innen, die mit Schönbergs Schaffen vertraut waren und in den nächsten Monaten durch das Arnold Schönberg Center zugänglich gemacht werden.